Hashire Melos (1992)

走れメロス (1992)

Rezensionen – Hashire Melos (1992)

Hier findest Du sowohl kurze als auch umfangreichere Rezensionen zum Anime „Hashire Melos (1992)“. Dies ist kein Diskussionsthema! Jeder Beitrag im Thema muss eine für sich alleinstehende, selbst verfasste Rezension sein und muss inhaltlich mindestens die Kerngebiete Handlung und Charaktere sowie ein persönliches Fazit enthalten. Du kannst zu einer vorhandenen Rezension allerdings gern einen Kommentar hinterlassen.
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Avatar: Asane
Redakteur
#1
Da sieht man sich mit einem langweiligen Wochenende konfrontiert, das wie dafür geschaffen scheint, sich allerlei abseitiges Zeug reinzuziehen. Wie etwa diesen ollen Anime-Schinken, der das ideale Opfer abgeben soll, um ihn hinterher genüsslich in der Luft zu zerreißen. Aber von wegen, nix war's. Denn 1. kommt es anders, und 2. als man denkt.


"Ideal" ist eine schönes Stichwort für den Einstieg. Der vorliegende Anime basiert auf einer Kurzgeschichte von Osamu Daizai, und diese wiederum auf der Ballade »Die Bürgschaft« [WP] von Friedrich Schiller, die wohl jeder kennt, also erspare ich mir weitere Einzelheiten. Bis auf diese eine kulturkritische Anmerkung:

Es ist immer wieder frustrierend mitzuerleben, was dabei herauskommt, wenn japanische Kulturschaffende einen antiken Stoff in die Finger kriegen und dann sich womöglich noch an den Amerikanern orientieren – vor allem, was kulturelle Hintergründe, landschaftliche Eigenheiten (hier: die topologische Situation im östlichen Sizilien) und allgemein die Namensgebung angeht. Wie bereits zu Anfang des Films mehrfach erwähnt, befinden wir uns in einem Ort namens "Schiracks". Schon mal gehört? Genau: "Syrakus" ist gemeint. Die Helden der Ballade heißen bei Schiller aber nicht »Melos« und »Serinentius«, sondern »Moeros« und »Selinentius«. Aber klar: "Melos" klingt ja so schön melodisch und altphilologisch gebyldet, also wird's schon richtig sein.

Wie immer bei einer Geschichte, die irgendwo zwischen wahrer Begebenheit und fabelhafter Fiktion changiert, ist auch hier die Quellenlage nicht ganz eindeutig und es gibt mehrere Varianten in der Überlieferung. Schiller hat den Plot auf die klassischen Ideale von Freundschaft, Aufopferung und bedingungslosem Vertrauen zugespitzt und wählt daher das Motiv des Tyrannenmordes als Auslöser der Geschichte – wogegen Daizai dies als unglückliche Folge einer Reihe von dummen Zufällen hinstellt, denen gemein ist, daß aus bloßem Misstrauen ein (unbegründeter) Verdacht entsteht, der den naiven Moeros in ernste Schwierigkeiten bringt. Er soll hingerichtet werden. Das nun kommt ihm äußerst ungelegen, denn um die Hochzeit seiner Schwester zu organisieren, bräuchte er drei Tage Aufschub, und dies wird ihm gewährt. Sofern sich jemand findet, der für ihn einspringt und ggf. an seiner Stelle hingerichtet wird.

Im Gegensatz zur Ballade wird hier natürlich sehr viel ausgeschmückt, erweitert und frei erfunden, aber ansonsten wäre das reine Grundgerüst des Gedichts auch viel zu dünn für diese Geschichte. Soweit passt das auch wirklich gut zusammen. Daß man aber beispielsweise seltsame Überwachungsmaßnahmen einbauen musste, hätte man sich sparen können. Denn die haben nur die eine Funktion, um als plot device das Schicksal zu lenken – und somit die Tränendrüsen des Zuschauers.

Wirklich verblüffend war, wie gut die Animationen geraten sind. Die Bewegungen sind alle wie aus dem wirklichen Leben gegriffen (sogar abstürzende Wagen), die Hintergründe unerwartet brillant, und auch die Personen und ihre Handlungen sind glaubwürdig und normal (im besten Sinne), das Timing sitzt perfekt, und der Aufbau wie die dramaturgische Umsetzung verrät die geniale Hand von Leuten, die wissen, was sie tun: Hiroyuki Okiura zum Beispiel, oder auch Satoshi Kon.

Leider trägt es die Story nach zwei Dritteln des Filmes ganz Hollywood-mäßig aus der Kurve, und man versucht immer noch eine Schippe mehr draufzulegen und die Dramaturgie immer noch mehr auf die Spitze zu treiben. Aber egal. Was man in der ersten Stunde dieses Film auf die Beine gestellt hat, bewegt sich qualitativ ziemlich weit oben. Das mag man nach Konsultation der Screenshots erstmal gar nicht glauben, aber bei mir auf dem Bildschirm hat das alles um einiges besser ausgesehen.
Auch das "world building" fand ich sehr gelungen. Die Art, wie in die Welt des antiken Syrakus eingeführt wird, wirkt völlig natürlich, vor allem auf dem Markt, wo es schon damals japanische Spezialitäten zu futtern gab, oder wo ganz nebenbei auch schon mal ein Schaf geschächtet wir [Ü 18] – rein der Atmosphäre wegen, versteht sich. Vergleichbar atmosphärisch ist die erste Hinrichtungsszene geraten, die von entspannenden Harfenklängen eingerahmt wird. Überhaupt hält man auch mit drastischeren Bildern nicht hinterm Berg; sogar das Schwesterchen des Helden darf an ihrem Hochzeitstag einmal nackt durchs Bild schlurfen.

Vom künstlerischen Standpunkt aus betrachtet, hat man das Atmosphärische wirklich gut getroffen. Spiegelungen sind perfekt umgesetzt, auch in der gleitenden Bewegung; das gleißende, mediterrane Licht und die harten Schatten unter der brütenden sizilianischen Sonne; sogar die Aurora des Mondes hat einen beeindruckenden Auftritt – und solch ein wolkenloser Vollmond sagt ja meistens: alles wird gut!

Im Grunde hatte ich als BGM fette, heroische Musik im Sandalenfilmformat erwartet. Aber auch hier hält man sich klug zurück und beschränkt sich auf filigrane, leise Töne, die relativ sparsam eingesetzt werden. Anderswo hat man sich nicht so vornehm zurückgehalten und man behelligt den Zuschauer gegen Ende des Films mit dramaturgischer Schonkost, namentlich bei der großartigen, epischen Landschaft, die vor allem großartig unglaubwürdig und weltfremd daher kommt. Oder glaubt einer ernstlich, man hätte damals kilometerweise solche Straßen in den Fels gehauen, noch dazu mit Abzweigungen?

Weil – wie erwähnt – auch hier die dramaturgischen Gäule mit dem Studio durchgegangen sind, kommt es zu ganz unglaublichen Szenen, die sicherlich auch den ein oder anderen Actionfreund begeistern können. Also, ich mein' – schon mal Rambo II [WP] gesehen? Damit dürfte also klar sein, wie sich ein richtiger Mann selbst verarztet oder sich später seiner Fesseln entledigt. Daß dann am Ende ziemlich "Deus ex machina"-mäßig und wortwörtlich "des Königs reitender Bote kommt" [Brecht: Dreigroschenoper], fällt da schon gar nicht mehr ins Gewicht. In dieser Phase, wo die Eingriffe der Vorsehung immer abstruser geraten und die Handlungslogik allgemein größere Aussetzer hat, ist es eh schon egal, und außerdem kann man das durchaus auch als ironisches Zitat verstehen.

Fazit:
Feiner Film. Hat Spaß gemacht, gerade weil man sich auch um Kleinigkeiten bemüht und nicht nur einfach irgendwas hingeschlunzt hat. Besser als »Hermes«



PS: Und falls wider Erwarten doch jemand einen Link zu Schillers Text braucht: hier gibt's die Version von 1804 auf gutenberg.org.
Beitrag wurde zuletzt am 08.04.2024 19:20 geändert.
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