Wenn man sich mal eine Übersicht aller Animes ansieht und sein Augenmerk auf Klassiker legt, kommt man an "Neon Genesis Evangelion", öfters auch mal "NGE" genannt, einfach nicht vorbei.
Die Serie hat damals eingeschlagen wie eine Bombe und auch heute noch hat der Anime Nichts von seiner Faszination verloren.
Selbstverständlich entsprechen
die Animationen nicht dem Maß heutiger Animes. Dabei darf man allerdings nicht vergessen, dass erst der Erfolg von "Neon Genesis Evanglion" oder
Cowboy Bebop den Weg für die guten Animationsstandards von Heute geebnet hatte. Doch auch nach damaligen Verhältnissen wirken die Animationen eher schlicht. Oder vielleicht doch nicht? "Gantz" recht, sie sind teilweise schlicht, jedoch aus einem guten Grund. Wir dürfen nicht vergessen, einen Mecha-Anime vor uns zu haben, in dem es gilt, die Größenverhältnisse zwischen Roboter und Mensch darzustellen. Und die sind in diesem Falle gewaltig! Nun bedienten sich die Zeichner eines kleinen Tricks. Während man in den ruhigen Zwischensequenzen abseits der Mecha- bzw. EVA-Szenen die Charakterdarstellung auf eher platte Weise und ohne große Detailfülle umsetzte, ging man bei den Actionszenen mit den EVAs wesentlich Detailfreudiger zur Sache und reizte die damalige Animationskunst vollends aus. Auf diese Weise kommen die riesigen EVAs viel besser und realistischer rüber. Ein einfacher Trick, aber er wirkt. Auch weil man ebenso mit den Bewegungsabläufen verfuhr. Stocken die Movements der menschlichen Akteure geht dies konform mit den Movements der EVAs, die ziemlich flüssig ablaufen. So dass die Illusion des Größenunterschiedes Hand in Hand mit dem eingesetzten Detailreichtum geht. Über allem schweben die immer hervorragend gezeichneten Hintergründe.
Es sind "gantz" einfache, simple Tricks, welche lediglich sauber umgesetzt sind. Ohne Computer bzw. CGI! Ich weiß auch nicht, aber irgendwie wünsch ich mir, dass heutige Produzenten auch mal wieder so einen Einfallsreichtum an den Tag legen.
Der Sound klingt zwar "gantz" ordentlich und sauber, doch sind hier die Umgebungsgeräusche und Vertonungen eher gering ausgefallen. Ich schätze mal, das liegt am Budget, welches für Serien damals noch nicht so groß angelegt war.
Die Musik in "NGE" zählt zwar nicht zu den großen Meisterwerken, jedoch ist sie mit Pop, Jazz und klassischen Arrangements ziemlich vielseitig ausgefallen und wurde zudem noch stimmig in den richtigen Stellen des Animes eingesetzt. Zum Auftakt gibt es einen netten kleinen Pop-Song zu hören, der leider zu sehr nach Shanadoo klingt und deswegen dem Zuschauer schon nach dem dritten Anhören ziemlich auf die Nerven geht. Innerhalb der Episoden kann man durch opulente Klassik aufatmen, denn dies passt wesentlich besser zu der unheilschwangeren und pre-apokalyptischen Atmosphäre des Animes. Ungewöhnlich wird’s zum Schluss, denn da überraschen uns die Produzenten mit einer gemäßigten, englischsprachigen Jazz-Nummer, die sich aber aufgrund des leicht ironischen Textes gerne anhören lässt.
Hervorzuheben ist
die Synchronisation, für welche hervorragende Sprecher engagiert wurden. Sogar die jungen Sprechen machen ihren Job richtig gut! Klar, dass bei so einem guten Team, sich die Synchro auch an das Original hält. Auch hier wieder wird offenbar, warum "Neon Genesis Evangelion" den Weg für weitere Klasse 1A-Serien ebnete.
Eine Gemeinsamkeit sämtlicher Kult-Animes ist
eine unglaublich dichte Atmosphäre. Auch hier macht "NGE" keine Ausnahme. Bereits von Anfang an wirkt die ganze post-apokalyptische Szenerie eigenartig bedrückend, obwohl durchaus Hoffnung und Abwechslung bestehen, denn die Welt ist scheinbar näher zusammengewachsen und augenscheinlich blickt die Menschheit einer akzeptablen Zukunt entgegen. Doch schnell wird dem Zuschauer klar, dass es sich nicht so einfach verhält und man einen großteils düsteren und besonders deprimierenden Anime vor sich hat. Die Sicht auf die dargestellten Ereignisse erlebt der Betrachter aus den Augen eines Teenagers und geht teils chaotische Wege >> himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt.
Wie gesagt, anfangs noch gibt es durchaus viel Humor und es darf gelacht werden. Es gibt sogar einen leichte Dosis Ecchi. Jedoch verändert sich die Situation bis Mitte der Serie und die komischen und hoffnungsvollen Ansätze weichen erheblicher Dramatik und einer intensiven Depressivität. Zeitgleich steigert sich noch der Actiongehalt der Serie. "NGE" ist nun mal kein Fun- und Pocorn-Anime wie
Afro Samurai oder
Samurai Champloo. Hier wirkt die Zerstörung wie sie ist . . . depressiv und traurig. Zudem mischen sich gegen Ende der Serie Gefühle von Unausweichlichkeit und Endgültigkeit ein, was die Intensität der dramatischen und deprimierenden Anteile an der Atmosphäre in nie geahnt Höhen treibt.
Die Charaktere fallen hier allesamt aus dem Rahmen. Die übliche Klischee-Schematik wurde komplett auf links gezogen. Hier wimmel es von Anti-Helden, denen die aufgebürdete Last des Menschenrettens alles Andere als genehm ist. Darunter auch die Hauptperson Shinji Ikari. Zerrissen zwischen Teilnahmslosigkeit, Angst und innerer Einsamkeit kämpft er gegen die Engel und für den Erhalt der Menschheit, obwohl er gar nicht will. Von Anfang an wird dem Zuschauer zwar sein Vaterkomplex nicht verheimlicht (Gendo Ikari ist der oberste Boss von NERV), doch dies allein ist nur ein Teil seiner innerlichen Probleme. Die Last der neugewonnenen Verantwortung bringt sein ohnehin schon zartes Gemüt gehörig aus der Fassung.
Auch Rei (Pilotin des ersten EVA) gehört dieser Riege an. Obwohl sie unterschiedliche Charaktere haben, ist dies ihnen allen Gemeinsam: der Abscheu gegenüber ihrer Arbeit, obwohl man sich bei Rei nie sicher sein kann. Agiert sie doch weit mehr als ein gefühloser Roboter anstatt eines Menschen.
Einzig und allein scheint Asuka (zweite EVA-Pilotin) ein wenig aus der Rolle zu tanzen. Sie ist aufgeschlossen, frech, arrogant, vorschnell und temperamentvoll. Doch auch in ihr lauern Abgründe und weiß dies geschickt zu verbergen.
Misato, Shinji`s direkte Vorgesetzte mit der er auch mit Asuka zusammenwohnt scheint augenscheinlich eine sehr nette Person mit enormem Sexappeal zu sein. Erst im Einsatz offenbart sie ihr wahres Gesicht, indem sie sogar bereit ist einzelne Menschen bedingungslos zu Opfern, um das Einsatzziel zu erreichen. Doch muss sich der Zuschauer immer wieder fragen, ob sie sich gegenüber ihren Schützlingen verstellt oder ob diese leichte Jekyll-and-Hyde-Variante nicht wirklich teil ihrer Persönlichkeit ist.
Überhaupt wird es schnell ersichtlich, dass ausnahmslos jeder gewichtige Charakter einen gehörigen Knacks, sprich einen leichten psychischen Schaden hat. Seltsamerweise scheint es auch die einzige Möglichkeit zu sein, um mit der Arbeit fertig zu werden. Interessant ist auch das Verhalten der Charas untereinander, scheinen sie doch bewusst ihre wahren Persönlichkeiten vor den Anderen geheim halten zu wollen. All diese Elemente tragen erheblich zur Unwohl-erzeugenden Atmosphäre bei. Dabei ist der Zuschauer den Akteuren immer wieder einen Schritt voraus, denn zahlreiche Kommentare aus dem Off tragen zum Verständnis der Charaktere bei und machen ihre Motivationen und Entscheidungen wesentlich nachvollziehbarer. Explizit dazu existieren drei Episoden. Eine gegen Mitte der Serie und die letzten beiden Episoden, die man als gnadenlosen Seelenstriptease sämtlicher Hauptakteure interpretieren kann. Dadurch bekommen die Charakten auch einen immensen realitätsnahen Eindruck. Doch allzuviel wird hierbei auch nicht verraten, so dass immer noch ein Gefühl der Ungewissheit bleibt und Fragen offen bleiben.
Die Story erzählt grundlegend eine Geschichte vom Kampf gegen Wesen, die aus zunächst nicht näher spezifizierten Gründen Engel genannt werden; und es werden viele Fragen über Gott, Religion, das Leben und den Tod gestellt. Selbstredend ist dies verbunden mit bewusst aggressiv, herber Religionskritik. Hier werden viele Fragen aufgeworfen, jedoch werden nur wenige beantwortet. Und mit jeder gestellten Frage, werden Neue aufgeworfen.
Der Anime beginnt zwar actionreich, doch wird anschließend das Tempo ein wenig gedrosselt. Ein geschickter Schachzug. Wird dem Zuschauer so genügend Zeit eingräumt, sich mit den Charakteren vertraut zu machen. Ist dies nach circa 13 bis 15 Episoden geschafft, beginnt sich der Anime ziemlich düster zu entwickeln. Die Action nimmt zu, ebenso die Dramatik und die Zahl der offenen Fragen. Regiert zu anfang des Animes noch Humor und Charakterdarstellung, so driftet es zu Ende hin immer mehr in Spannung, Dramatik, Action und Mysterie ab.
Aussergewöhnlich und einzigartig sind die bereits erwähnten Drei Episoden, in denen fast ausschließlich Standbilder gezeigt werden, garniert mit jeder Menge Kommentare des jeweiligen Charakters betreffend. Doch während die eine Episode gegen Mitte der Serie noch „gantz" informativ ist, gestalten sich die letzten beiden Episoden der Serie zu einem echten, total überflüssigen Ärgernis. Unnötigerweise und überdies mit Lustlosigkeit geprägter Langweile lässt man hier nochmal den bisherigen Verlauf der Geschichte Revue passieren. Es werden keinen neuen Aspekte aufgeworfen, keine neuen Fragen gestellt, man hat alles schon gesehen und die Charaktere sind zu diesem Zeitpunkt auch schon ausführlich und detailliert dargestellt. Wozu der ganze Blödsinn? Es handelt sich zwar um die letzten beiden Folgen der Serie, jedoch
nicht um das Finale der Geschichte, dies markiert der anschließende Kinofilm
Neon Genesis Evangelion:The End Of Evangelion, jedoch wäre es wirklich von Vorteil gewesen, die Story wenigstens ein wenig zu erweitern und noch mehr Dramatik reinzubringen, anstatt den Zenith des so großartigen Animes derart auszubremsen.
Fazit: "Neon Genesis Evangelion" verdient seinen Kultstatus zurecht. Trotz der Futuristik haben wir hier einen der stärksten Animes vor uns, die bis jetzt erschienen sind. Ein mit heftig-harter Religionskritik gespicktes Meisterwerk, dessen deprimierende Stimmung einzigartig ist. Pflicht für jeden Anime-Fan und für jeden, der auf anspruchsvolle Unterhaltung steht. Hier werden zwar viele Fragen gestellt, jedoch werden dabei immer neue Fragen laut. Der eigentliche Kniff dabei ist, wie man den Zuschauer dadurch selbst zum Nachdenken zwingt und ihm die Möglichkeit überlässt, jene Fragen für sich selbst zu beantworten.
Ausserdem haben wir diesem Anime viel zu verdanken, ist er doch unter anderem der Katalysator für viele weiter hochwertige Animes. Wie sehr "NGE" eingeschlagen hat, sehen wir nicht nur an den beiden anschließenden Kinofilmen
Neon Genesis Evangelion:Death And Rebirth und dem Finale des Meisterwerkes
Neon Genesis Evangelion:The End Of Evangelion, sondern auch an die Vier (!!!) neuen Kinofilme, die unter „Rebuild Of Evangelion" zusammengefasst sind. Der erste Film
Rebuild Of Evangelion:1.0 (You Are Not Alone) ist bereits erschienen. Insgesamt soll einer der Streifen die Geschehnisse vor der Serie aufgreifen, Zwei Filme während der Serie spielen und der letzte die Geschichte sogar noch weiter spinnen. Ich kann`s jedenfalls kaum erwarten, die „Rebuild"-Reihe endlich zu sehen. Zudem ist noch ein Live-Action-Movie geplant, welches sich bereits in der Vorproduktion befinden soll. Verantwortlich hierfür ist kein Geringerer als Peter Jackson, der schon "Der Herr der Ringe" auf die Leinwand zauberte.