Viele ältere Animes sind ja geprägt von Unvollkommenheit. Von lausigen Animationen, üblem Timing, skizzenhaft hingeworfenen Hintergründen, mediokrer Musik und fader Vertonung. Kurz: vom Charme des Unfertigen und vom Schwelgen in
Nostalgie. »
Dieser superkitschige Anime, der geprägt ist von Liebe, Freundschaft, Mut, Gesang und hübschen Verwandlungen erfüllt jedes Herz mit Liebe«, schreibt
KawaiiChan, und genau hier liegt das Problem. Was in etwa abgeht und wie die Geschichte aufgebaut ist, kann man, auch ohne Vorkenntnisse aus der Kurzbeschreibung, ziemlich gut erahnen – wenn man schon mal einen Blick in »
Sailor Moon« geworfen hat oder sonstwie mit der Welt der "
PreCure" vertraut ist. Mit dem kleinen Unterschied, daß hier in »Mermaid Melody« alles noch ein paar Grade bescheidener abläuft.
Diese Serie peilt als Publikum wohl allgemein
Kinder an, speziell kleine Mädchen. Jedes Kanji hat seine Furigana, was an sich ein recht guter Indikator ist. Deshalb war man wohl der Meinung, es bei der Story etwas lascher angehen lassen zu können. Nicht daß die Zuschauer, gerade ältere solche, erwarten würden, hier liefe alles streng nach Logik oder den Gesetzen der Natur – schließlich quillt hier alles über vor
Meerjungfrauen und Magie –; aber wenigstens die eigenen, selbst gesetzten Regeln sollten doch wohl eingehalten werden. Das ist nicht der Fall. Krass wird es vor allem gegen Ende, im letzten Viertel der Geschichte, wo solche eigens definierten Regeln (z.B. wie die
Mermaids auf Wasser jedweder Art reagieren oder wann welcher Song welche Wirkung entfaltet) munter über Bord geworfen werden. Vermutlich, weil es sonst für Regie bzw. Skript unzumutbar kompliziert geworden wäre. Aber mit Kindern kann man's ja machen. Und schaut man mal in die Kommentare auf den üblichen Websites, stellt man fest: diese Großzügigkeit wird allenthalben goutiert. Zumindest stört sich niemand dran.
Großzügig ist man auch in dem, was Serien dieser Art so auszeichnet. Das ganze
Arsenal an Tropen, das dieses Genre hergibt, wird ausgiebig abgegrast, Originalität gemieden, wo es nur geht. Weiters greift man zu den üblichen Tricks, um sich dramaturgisch das Leben zu erleichtern, beispielsweise mit Telepathie-gestützten Dialogen. Der Zuschauer sieht sich also konfrontiert mit einem riesigen Patchwork aus Standards: Standardsituationen, Standardialoge und Standardregieeinfälle.
Die
Animationen sind, wie schon angedeutet, recht bescheiden und gerade gut genug, daß man den Anime nicht schon nach 5 Minuten hinschmeißt. Optik wie auch
Charakterdesign sind arg zurückgenommen und vereinfacht, um nicht zu sagen retardiert. Man bewegt sich da auf dem Niveau der frühen Neunziger, etwa wie bei »
Hime-chan no Ribbon«, dessen Heldin Himeko ähnliche charakterliche Züge aufweist wie Luchia hier.
Luchia ist von Beruf Mermaid und wie ihre Kolleginnen damit beschäftigt, die Weltmeere zu beschützen. Zumindest so lange, bis ein Unhold, "
Gaito" genannt, einige der unterseeischen Mermaid-Schlösser angreift, um die magischen Perlen der Meerjungfrauen zu rauben, weil er damit … äh … die Weltherrschaft an sich reißen will. Oder so ähnlich. Seitdem besteht
Luchias Aufgabe darin, hin und wieder Kaito vor dem Ertrinken zu retten, wie einige Jahre zuvor auch schon, als dieser durch ein Schiffsunglück über Bord gegangen ist. Kaito hat sich dieser Moment ins Gedächtnis gebrannt, doch er vermag es nicht, in dem
Mädchen seine angehimmelte Meerjungfrau zu erkennen. Denn um dem Bösewicht Gaito zu entkommen, haben sich einige der Mermaids an Land begeben und fristen dort einigermaßen unerkannt ein neues Dasein. Das ungefähr ist der rote Faden dieser Serie. Nebenbei: daß "Gaito" und"Kaito" recht ähnlich klingen, registriert der Zuschauer sehr wohl und kann sich seinen Teil dabei denken, auch wenn er schon längst dösend in den
Popcorn-Modus übergegangen ist.
Aus der Perspektive dieser Luchia (die eigentlich
Lucia heißt, was aber die Amis nicht verstehen würden) wird die Geschichte um die Meerjungfrauen mit ihren magischen Perlen erzählt, wobei zu erwähnen ist, daß hier, anders als bei den PreCure-Serien, die Gegner nicht mit Magie, sondern mit
Gesang bekämpft werden. Diese Meerjungfrauen sind quasi die Magical Girls des Wassers. Anstatt eines Zauberspruchs gibt es jedesmal einen Song, mit dem man die Welt retten kann und der die Bösen in die Flucht schlägt (warum nur muss ich da an Dieter Bohlen denken?). Verwandlungssequenzen gibt es natürlich trotzdem, mit dem Unterschied, daß man die Heldinnen leider nicht kurz mal nackt sehen kann. Im übrigen ist die
Musik der Dämonen, egal wie arschig die Typen auch sein mögen, sowieso weit besser als das süßliche, inhaltsleere Geplänkel der Mermaid-Idols. Sage ich als Bewunderer von Prokoview und Messiaen – musikalisch gesehen würde ich sofort auf die dunkle Seite der Macht wechseln.
Noch ein paar Takte zur Musik
Anderswo sieht man das recht ähnlich. Auf Youtube zum Beispiel. Der Song "Voice in the Dark", mit dem die Bösen kontern, ist zu meinem absoluten Liebling avanciert
[Youtube, 1:49], der im Anime leider ziemlich scheiße abgemischt ist. Wie alle anderen aus der Gruppe der Helfershelfer sind auch sie nicht die Hellsten (sonst würde der Anime auch keine 52 Folgen beanspruchen), glänzen aber mit zärtlichen Yuri-Vibes. Musikalisch ist das um Längen reifer als alles, was die dünnen Stimmchen der Guten hergeben.
"Is it just me or are the villain songs sound more awesome then the heroes song?" fragt ein Kommentator in etwas schrägem Englisch, und ich kann bestätigen, daß nein. Geht mir nämlich genau so. Eine "extended version" findet sich hier
[Youtube, 4:25], und außerdem glänzt Wasserdämonin Yuuri (die
Goth-Loli links im Bild) dann und wann mit einem markanten Klavierstück, das auf die Mermaids eine ähnliche Wirkung ausübt wie Insektenspray auf Mücken, und das ich aber ziemlich klasse finde: Kiyoufu Shirabe
[Youtube 1:45].
Bezüglich
Story und Dramaturgie hat man sich für die Lösung entschieden, die Heldin Luchia genauso strohblond wie strohdoof zu entwerfen, damit man dann all die vielen Informationen einflechten kann, die nicht nur für sie, sondern auch für den Zuschauer vonnöten sind, um zu verstehen, worum es hier überhaupt geht. Dramatische Wendungen werden auch schon mal kreuzdämlich in die Wege geleitet; kein Wunder, daß alle Charaktere so große Augen haben, als wollten sie die ganze Zeit um Vergebung für all den Irrsinn bitten. Deswegen sind auch die
ruhigen Momente dieses Animes die deutlich besseren. Vor allem die, die die Bilder für sich sprechen lassen. Gleiches gilt auch für die BGM, die sich meistens mit seichtem Pop begnügt, der die Sterilität mit Hall kaschiert, und die erst in den nicht-lustigen Momenten zu wahrer Größe findet.
Auf ähnlichem Niveau agieren die
Seiyuu (mit zu wenig Ausnahmen), die sich auch nicht gerade ein Bein ausreißen und es bei routinierter und überzuckerter Oberflächlichkeit belassen, um den Ansprüchen an einen Kinderanime zu genügen.
Um diese charakterliche Substanzarmut zu komplettieren, sei noch erwähnt, daß es selbstverständlich auch hier ein extrem nervendes
Maskottchen (
Hippo genannt) gibt, das auf das zu suchende Item anspricht (magische Perlen) und für so manche Out-of-Character-Einlagen zuständig ist. Eine Person, die sich in mein Herz gespielt hat, möchte ich nicht unerwähnt lassen: Das ist die herzige
Hanon, Freundin von Luchia und von ähnlich hohlköpfiger Natur. Aber wer einen derart sicheren
Stil entwickelt hat, dem muss man doch einfach
Sympathie entgegenbringen …
Man kann also den Anime Folge für Folge an sich
vorbeiplätschern lassen, ohne das Geringste zu verpassen. Denn da, wo die Regie meint, bedeutende Szenen zu inszenieren, wird mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln deutlich und unmissverständlich darauf hingewiesen. Inklusive Rückblenden, falls sich der Zuschauer, der inzwischen einer milden Trance anheimgefallen ist, nicht mehr daran erinnern mag, was vor eineinhalb Minuten Hochdramatisches geschehen ist.
Was die Serie auszeichnet und sie von anderen unterscheidet (singen statt kämpfen), ist aus narrativer Sicht zugleich ihr größter Schwachpunkt. Der dramaturgische Faden geht regelmäßig verloren, wenn die Mermaids zu ihrem Konter per freundlich-seichtem Gesang ansetzen, gerade weil gerne mal zusätzlich 70 Sekunden Verwandlung vorausgehen. (Irgendwann im späteren Verlauf lässt man sich auch schonmal von "
Tränen lügen nicht" inspirieren.)
Bei einer Länge von 52 Folgen bleibt es nicht aus, daß dem Publikum eine Menge
Slice-of-Life-Filler untergeschoben werden, wobei eine strikte Trennung schwierig ist. Einfach deshalb, weil in der Regel gegen Ende einer Folge, egal was passiert, die Bösen meist ihren Alibi-Auftritt veranstalten und sich dabei so blöde anstellen, daß die Guten reichlich Gelegenheit bekommen, ihren siegbringenden Idolsong aufzuführen.
Was ich bisher unterschlagen habe, ist die Komik, der
Humor. "Kindgerecht" ist neben "ausgeleiert" das erste, was mir dazu einfällt. Natürlich gibt es lustige Szenen, wenn ich mich recht erinnere sogar ganze zwei, aber das ist bei einem 4-cour-Anime jetzt nicht so die Quote, die irgendwas noch rausreißt.
Fazit:
Wenn all das eine Parodie sein soll, ist das definitiv zu lahm. Den etwas zu verwöhnten Zuschauer erwartet ein buntes, anspruchsloses Nichts, ähnlich einer Tüte Smarties. Nur für langmütige Naturen.
Vorspulpotential: hoch.
Beitrag wurde zuletzt am 21.04.2024 04:12 geändert.